Man schrieb das Jahr 1862. In den USA erklärte Präsident Lincoln die Sklaverei in den Südstaaten für aufgehoben. In Griechenland verjagte eine Militärrevolte König Otto I. In Preußen wurde Otto von Bismark vom König zum Ministerpräsidenten und Außenminister berufen. In Bayern regierte König Ludwig II., der als „Märchenkönig“ in die Geschichte einging. In Gerolfing stand an der Spitze der Ortsvorsteher Rupert Schiechel.
Das war das Jahr1862, in dem in Gerolfing sieben Handwerker, nämlich Kaspar Nißl, Wagnermeister, Xaver Pöll, Sattlermeister, Georg Glasser, Schäfflermeister, Georg und Jakob Pöll, Schuhmachermeister, Josef Nißl, Schneidermeister und Quartan Schmid, Schumachermeister den Gewerbeverein Gerolfing gründeten.
Warum sie das taten, geht aus der Gründungsurkunde hervor: „ Urkunde Iber die besteung des Vereins der Gewerbe treibenden Gerolfing.
Der Gewerbe Verein besteht seit dem Jahr 1862, indem dortmals die Gewerbe Vereine in alklen Städten und Märkten aufgehoben wurden, und unsere Voreltern viele Lasten und aufgaben haten, daher besprachen wir uns in Gerolfing, das jetz bey aufhebung der Vereine kein Mensch mehr an unsere Vorfahren denkt, das weder eine hl. Messe noch ein Requiem abgehalten wird. Auf diesen Grund hben wir das gedan und ist in dieser Zeit ununterbrochen fortgedauert, nemlich alle Jahre ein Lobamt und Requiem das aus dem Vereine bezahlt wurde abgehalt worden.“
Zurück zum Verein: Gegen Errichtung eines Mitgliedsbeitrages von 1 bis 2 Mark pro Jahr konnte jeder selbständige Handwerker und Gewerbetreibende, also auch die Wirte, Müller und Krämer und sogar die Schneiderinnen Mitglied werden. An der Spitze des Vereins stand der Vorstand, der von den Mitgliedern, damals allerdings in unregelmäßigen Abständen gewählt wurde.
Im Jahr 1874 ließ der Verein um 70,50 Mark eine sogenannte Engelstange anfertigen mit der Figur des heiligen Josef, des Zimmermanns aus Nazareth. Diese wurde bei Prozessionen und bei der Beerdigung eines Mitglieds mitgetragen. Während des Jahres hat sie ihren Platz mit anderen Engelstangen in der hinteren Hälfte der Kirche. Sie wird heute bei der Fronleichnamsprozession mitgetragen und am Gewerbejahrtag nach vorne geholt. Dann brennt auch die Kerze auf dem Leuchter zu Füßen der Josefsfigur.
Siehe dazu eigene Geschichte.
Viele Jahrzehnte lang fand am Montag vor dem ersten Adventssonntag der Gewerbejahrtag, die so genannte „Hammalazunft“ statt. Alle Mitglieder waren dazu in der einige Wochen zuvor abgehaltenen Jahreshauptversammlung eingeladen worden. Schon um 9 Uhr traf man sich bei dem für dieses Jahr bestimmten Wirt. Das Lokal wurde jährlich gewechselt, sodass jeder der drei Wirte reihum dran kam. Sie waren ja auch Mitglieder. Kurz vor 10 Uhr stellte man sich zum Kirchgang auf, den die Musikkapelle anführte. Beim feierlichen Amt war die mit Bändern und Blumen geschmückte Engelstange und mit brennender Kerze am ersten Kirchenstuhl auf der Männerseite aufgestellt. Damals gab es noch den Opfergang um den Altar. Dabei machte der Vorstand den Anfang. Ihm folgten die anderen Männer. Bei den Frauen war die Frau des Vorstandes die erste. Nach dem Gottesdienst ging es mit Musik zurück in die Wirtschaft zum gemeinsamen Mittagessen. Die Männer, die noch ohne ihre Frauen da waren, gingen nun heim und holten ihre Partnerinnen ab. Der Nachmittag und der Abend waren der Unterhaltung und dem Tanz gewidmet. Das Seelenamt mit Libera für die verstorbenen Mitglieder fand erst in der Früh des nächsten Tages statt.
Der II. Weltkrieg brachte für den Verein eine Zwangspause. Nur noch für die Jahre 1939 und 1940 weist das Protokollbuch kurze Eintragungen auf. So ist für 1939 zu lesen: „In Anbetracht des Kriegsausbruches mit Polen wurde heuer die Jahresfeier unterlassen. Auf Grund dessen haben wir auch keinen Beitrag erhoben und haben somit 1939 keine Einnahmen.“ Für 1940 heißt es: „Da auch heuer kein Beitrag erhoben wurde, ist das Reinvermögen aufgebracht.“
Die Seite, mit der es weitergeht, trägt die Jahreszahl 1948. „Drei Jahre nach Beendigung des großen Völkerringens war es wieder erlaubt, Vereine zu bilden. So haben sich die alten Kämpen des Gewerbevereins zusammengefunden, um denselben wieder ins Leben zu rufen.“
Das geschah am 6. November 1948 auf Betreiben von Johann Herler. Zum ersten Nachkriegsvorstand wurde Franz Babinger, ein Maurerpolier, gewählt. Der Jahresbeitrag war eine Mark. In kurzer Zeit hatte der Verein 111 Mitglieder.
Auch die Tradition des Gewerbejahrtages wollte man fortführen, und so ging der Jahrgang nach dem Krieg am 20. November 1948 im Gasthaus Beck über die Bühne. Nach altem Brauch begann der Tag mit einem Gottesdienst für die gefallenen und verstorbenen Mitglieder. Abends acht Uhr traf man sich nochmal zu Unterhaltung und Tanz. Noch fehlte gegenüber einem Jahrtag der Vorkriegszeit das gemeinsame Mittagessen.
Doch schon für das Jahr 1949 heißt es im Protokollbuch: „Für den diesjährigen Jahrtag, der heuer beim Weiß stattfindet, wurde beschlossen nach zehn Hungerjahren wieder einmal ein Mittagsmahl abzuhalten. Der vereinbarte Preis von 2,50 DM wurde gutgeheißen. Nachmittags sodann gemütliche Unterhaltung und abends von sechs Uhr ab Tanz.“
Auch das Protokoll der Jahresversammlung von 1950 enthält eine interessante Bemerkung zur Zeitgeschichte: „Nachdem der Saal im Gasthaus Funk noch immer mit Flüchtlingen belegt ist, wird der heurige Vereinsjahrtag am 18.November im Gasthaus Beck abgehalten.“
Im November 1962 feierte der Verein unter Teilnahme der örtlichen Vereine sein 100 jähriges Bestehen.
Selbst das große Weltgeschehen griff ins Vereinsleben ein. So heißt es im Protokoll vom
2. November 1963: „Die Jahrtagsfeier verlief sehr ruhig. Wegen des Mordes an Präsident Kennedy der U.S.A. durfte keine musikalische Unterhaltung stattfinden.“
Seit 1975 trägt der Verein den Namen „Gewerbe- und Handwerkerverein“. Er ist der zweitälteste Verein Gerolfings.
Am 12. November 2002 feierte der Gewerbe- und Handwerkerverein sein 140 jähriges Bestehen traditionsgemäß mit einem Gottesdienst in der Pfarrkirche St. Rupert und einer weltlichen Feier im Gasthaus Meierbeck.